Sie führt die Familientradition weiter und hat dennoch etwas völlig Neues geschaffen. Sie hat Militärdienst geleistet und ist in ihrer Freizeit Organistin in der Kirche. Soziales Engagement ist ihr wichtig und sie vertritt die SVP im Aargauer Grossen Rat. Dass dies keine Widersprüche sind, beweist Karin Bertschi auf ganz natürliche Weise. 

Als Teenager wollte sie Helikopterpilotin werden. Als dies nicht klappte, stand sie 2009 mit 19 Jahren vor der Frage, wie es beruflich weitergehen sollte. Ihre Eltern, Inhaber der Bertschi Mulden+Container Transporte AG, boten ihr an, ein Konzept für eine Recycling-Sammelstelle zu entwerfen. Mit Elan ging Bertschi ans Werk. «Früher brauchte man auf einer Sammelstelle Gummistiefel und Warnweste. Es war dreckig und roch unangenehm. Meine Vision war, einen Ort zu schaffen, an dem Frauen in Highheels entsorgen können und auch Kinder sich wohlfühlen. Das Entsorgen soll zu einem positiven Erlebnis werden.»

Mit dem Recycling-Paradies in Reinach hat Karin Bertschi einen solchen Ort geschaffen: Die Halle ist hell und sauber. Autos können direkt hineinfahren. Ordentlich beschriftet reihen sich Container an Container – praktisch alles kann man hier entsorgen. Im dazu gehörenden Kinder-Paradies lernen schon die Kleinsten mit niedrigeren Behältern, wie man seinen Abfall trennt. Das Konzept der einladenden Recyclingstelle ist ein grosser Erfolg: Die Jungunternehmerin wurde bereits mit dem Prix Evenir für nachhaltige Projekte, dem Golden Creativity Award von Idee Suisse sowie dem Aargauer Unternehmenspreis ausgezeichnet. 2014 wurde eine zweite Filiale in Hunzenschwil eröffnet. Eine dritte Filiale soll in Spreitenbach entstehen.

Eine Hand reichen

Bei der Rekrutierung von Mitarbeitenden kommen bei Bertschi auch Menschen zum Zug, die auf dem Arbeitsmarkt schlechte Chancen haben: Asylbewerber, Menschen mit Suchtkrankheiten, psychischen Problemen oder ähnlichem. Dazu arbeitet sie auch mit integrationsfördernden Institutionen zusammen. «In unserer Branche haben wir die Möglichkeit, auch Leute einzustellen, die keinen Hochglanzlebenslauf haben. Ich habe sehr gute Erfahrungen damit gemacht, allen eine Chance zu geben. Die meisten brauchen nur eine sinnvolle Aufgabe und eine Perspektive und sie blühen richtiggehend auf.» Auch Ihren Kundinnen und Kunden hilft sie gerne weiter. Ein offenes Ohr zu haben, gehört beim Recycling-Paradies zum Konzept: «Hinter dem Gang zur Entsorgungsstelle stecken oft schmerzhafte Geschichten. Trennungen, Krankheiten, Todesfälle. Wenn jemand Seelenballast abwerfen möchte, hören wir gerne zu.»

Grundwissen fördern

Aufklärungsarbeit zu leisten ist Karin Bertschi ein wichtiges Anliegen: «Ich bin kein Trennfreak, aber eine gewisse Grundbildung sollte bei allen vorhanden sein, also das Wissen «Müll trennen spart Geld und hilft der Umwelt». Am einfachsten ist es, wenn einem dieses Bewusstsein schon in der Kindheit vermittelt wird.» Führungen und Workshops im Recycling-Paradies sind für Schulklassen kostenlos. «Wenn die Kinder das Gelernte nach Hause tragen, erreichen wir damit auch viele Eltern.» Um des Bewusstsein in der Gesellschaft zu stärken, dass Abfall nichts Ekliges, sondern ein Teil unseres Lebens ist, organisiert Bertschi regelmässig Anlässe für die ganze Bevölkerung im Recycling-Paradies. Diese sollen aber nicht belehrend wirken: In einem angenehmen Rahmen mit ein bisschen Volksfestcharakter geniessen die Besucher das Beisammensein und werden nebenbei über Recycling-Themen informiert. Auch das Betreuungsprogram für die Kinder beinhaltet immer etwas zum Thema Umwelt: Basteln mit Wertstoffen, Goldsuche im Sandhaufen, Papierschöpfen oder ähnliches. Mehrere hundert, manchmal sogar einige tausend Besucherinnen und Besucher kommen zu diesen Anlässen.

Auch ihre drei Geschwister sind in das Familienunternehmen eingestiegen. Der Zusammenhalt und das Engagement sind gross. Gearbeitet wird an sechs Tagen pro Woche. «Für mich ist das keine Qual. Man muss Freude haben an dem, was man tut», betont Karin Bertschi lächelnd. Dass sie das hat, das spürt man.

www.recycling-paradies.ch